Mir liegen die Worte nicht schon vor dem Denken auf der Zunge. Reden ist schon manchmal fast ein Tanz mit dem Teufel, der Triumph, die vermeintliche Überlegenheit des Schnelleren. Tyrannen, Tanz und Teufel.
Sind die Prahler so richtig im Schuss, reagiert mein Verstand wie verzögert, mein Mund wird trocken und ich verstumme. Dabei spüre ich, wie diese Rhetoriker oft ihre Reden allein nur dazu benutzten, ihre Zuhörer klammheimlich zu manipulieren. Für mich gab und gibt es Sätze, die erst wie Früchte an den Bäumen reifen müssen, ehe sie verträglich für eine Konversation sind.
Da kann man dann all die grossspurigen Sätze vernehmen, aneinandergereiht wie die strahlend weissen Zähne eines Helden der Leinwand – ihre Worte sind wie Tretminen, damit sichern sie ihr weitläufiges, ihr gelobtes Territorium.
Sofort fahren sie andern über den Mund.
Schweigen macht wohl manche nervös?!
Ich habe mich nie richtig damit abfinden können, als Wortkarger gelten zu müssen, das ist eine Ungerechtigkeit, eine Strafe.
Einer, der schweigt, hat nicht zwangsläufig „nichts zu sagen“.
Zwar habe ich damit keine Stimme, aber deswegen bin ich noch lange nicht sprachlos!
Darum suche ich noch immer nach der Sprache, nach Zeichen, nach Chiffren, nach einer Konversation, die möglichst ohne Worte auskommen kann. Spüren, was zwischen den Zeilen geschieht, die Geister dabei ertappen, wie sie in den Zwischenräumen herumtollen. Ja, diese Geister stupsen mich manchmal an, spielen Medium und überraschen mich mit Begegnungen, die mich sehr in Staunen versetzen können. Plötzlich, unvermittelt, spielt sich etwas absolut Grossartiges ab, etwas, das kaum jemand zu verstehen im Stande und rational wohl niemals zu erklären ist. Das zu begreifen, das ist eine Fähigkeit, die an keiner Schule gelehrt wird.
Text von Gabrielle Boller, Kunsthistorikerin
Hinter den Worten liegt die Sprache / Die Gischt der Worte
Wenn sich ein bildender Künstler, im Unterschied etwa zu einem Schriftsteller, mit Sprache beschäftigt, dann interessiert ihn dabei naturgemäss in besonderem Masse immer auch ihre Materialwerdung: Er betrachtet sie gerne in ihrer geschriebenen Form, sieht die Schrift, sieht Buchstaben und Worte in ihrem materialen Reiz, noch bevor sie zum Text werden. Und so sehen wir auch im Triptychon von Felix Keller zuerst ein Bild, genauer ein Relief. Sorgfältig gerahmt präsentiert sich uns ein Schriftbild, geheimnisvoll irgendwie, eine Art von Hieroglyphen oder seltsamer Keilschrift, auf jeden Fall nicht auf Anhieb zu entziffern, dafür aber haptisch fühl – und berührbar. Der Künstler Felix Keller spricht oft von seiner Sprachlosigkeit; er misstraut aus Erfahrung der Verführungsmacht der Worte, die sich in den Gehörgang einschmeicheln wollen. Und fast scheint es, als wolle er hier die Sprache, diese Geschmeidige und Überwältigende, irgendwie dingfest machen.
Geleichzeitig weiss er natürlich, dass das so leicht nicht zu bewerkstelligen ist. Zumindest aber kann er sie ihrer Funktion entheben, uns etwas mitzuteilen, uns von etwas zu überzeugen, oder uns einzuwickeln – denn wir sehen nur mehr Fragmente eines Textes, unleserlich in Spiegelschrift, als eine rhythmische Folge einer akkuraten Handschrift mit dicht und flüssig gesetzten Buchstaben. Tatsächlich ist es ein atemloser Text über Sprache und seine Ohnmacht im Umgang damit, den Felix Keller sich von der Seele geschrieben hatte, doch dabei sollte es nicht bleiben. Denn der Künstler hat sein Blatt, ein weiches Papier, umgedreht, hat gesehen, wie die Konturen der Worte auf der Rückseite tastbar wurden, im Sonnenlicht Schatten warfen, ein zartes Relief bildeten. Eine zufällige Beobachtung, die, wie so oft in Felix Kellers Werk, zum Ausgangspunkt wird für eine spielerische Umkreisung und für eine poetische Weiterentwicklung von etwas Unscheinbarem, Nichtigem, kaum Beachtetem. Bei Duchamp würde es vielleicht zum «Inframince» zählen, jenem kaum Wahrnehmbaren in Räumen und Zuständen eines Dazwischen, wie etwa der Wärme eines Stuhls, von dem gerade jemand aufgestanden ist, oder auch dem Raum zwischen der Vorder- und der Rückseite eines Blatts Papier.
Anstatt eines Textes sehen wir also gewissermassen seinen Schatten in Gips gegossen; wir sollen das Geschriebene ja auch gar nicht lesen können, um zu verstehen, dass es gerade darum geht: um die Unverständlichkeit, um den allgegenwärtigen Wortballast und um die Macht der Sprache. Denn wenn er sich entzieht, zur blossen Form wird, zum edel in Holzkästchen präsentierten Schaubild, lässt sich über Text anders nachdenken als wenn er seine Funktion erfüllt. Was bitte, sind denn eigentlich schöne Worte?
Gabrielle Boller