FOTOGRAFIE
Schon sehr früh hatte ich mit der Edixa meines älteren Bruders angefangen und da entstand dabei ein Bild, das mir besonders gefiel. Das könnte der Startschuss zu meiner künstlerischen Laufbahn gewesen sein. Dann sucht man nämlich nach einer Gelegenheit, ein ebenbürtiges, oder gar noch schöneres Bild zu «schiessen». Und so geht das weiter und weiter, so richtig befriedigt wird man nie, denn hat man einmal ein ganz aussergewöhnlich tolles Bild gemacht, so weiss man, dass es das Letzte nicht sein wird. Das Fotografieren kann dann zur Obsession werden, zum Zwang und man merkt es nicht einmal. Ein Bild soll etwas wiedergeben, das mich in meinem Innern anspricht, das etwas aus meinem Innern widerspiegelt. Anders gesagt, es transportiert Emotionen im besten Fall. So war ich schon vor langer Zeit auf meiner ersten grossen Reise von Kanada nach Mexico gekommen. Immer weiter in den Süden, nach Chiappas, Guatemala und Belize gereist und ich spürte nicht einmal, dass so, wie ich fotografierte, dass man das auch nur gerade «knipsen» hätte nennen können. Ich muss wohl nicht ganz mit meiner Seele dabei gewesen sein. Und dann passierte es. An der Küste von Guatemala, in Livingston, bin ich eines Nachts, wie der Regen auf das Wellblech trommelte und ich fest und tief geschlafen hatte, ausgeraubt worden. Meine Kamera war weg. Plus die ganzen Filme. Plus die hundert Dollar, die ich am selben Tag in Puerto Barrios, ein Loch, gewechselt hatte. Freundlicherweise hatte der Dieb mir meinen Pass gelassen, was mich sehr überrascht hatte.
Doch aber genau dieses Ereignis liess mich erkennen, dass es mehr als nur ums «knipsen» ging. Vielleicht hatte das so geschehen müssen, denn nur durch radikale Ereignisse kann man lernen.. Dass mir der Fotoapparat abhanden gekommen war, hatte mich sehr aufgewühlt und mir bewusst gemacht, was es hiess, «einen Moment» einzufangen.
Auf meiner zweiten Reise durch Zentralasien war ich wieder in Kashgar, Xinjian, Westchina gelandet. Meine Einstellung hatte sich seit der Reise durch Zentralamerika grundlegend verändert. Jetzt hatte ich Zugang zu einem bewussten Wahrnehmen gefunden, ich beobachtete, ich bemerkte, dass ich nicht nur mit den Augen sehen, sondern mit meinen gesamten Sinnen anwesend sein musste. Und weil ich schon von der ersten Reise durch Westchina wusste, das die Gegend um Chaqiragilkol, also, wenn man zu der sogenannten «Tigermouthgorge» auf das Hochplateau auf 3600Metern gelangte, dass da eine ganz besondere Landschaft auf mich wartete. Und so beschloss ich für einmal, mir von einem uigurischen Taxifahrer zu einem ausgehandelten Tarif mich nach Tashqurgan chauffieren zu lassen, unter der Bedingung, dass er anhalten würde, wenn ich es verlangte. Denn genau diese Landschaft mit den Sanddünen wollte ich mir genauer ansehen, ich wollte mir extra dafür Zeit nehmen. Und so kamen wir da an, ich war schon ganz gespannt darauf und hielten bei Kirgisen, die am Strassenrand, am KKH, dem Karakorumhighway, ein paar wenige Steine, Mineralien und geschnitzte Knochen anboten. Aber was sah ich da! Etwas weiter unten bemerkte ich eine Frau und ein Mädchen, Kirgisinnen mit ihrer Herde Schafe und Ziegen. War das ein Anblick! Und schon sauste ich dahin, begrüsste die Frau: Salom alleihkum, kandai siz!? und sie bot mir einen Anblick, dass mein Herz ganz aufgeregt hüpfte und pochte und da wurde mir ein Bild geschenkt, ich durfte da einen Moment festhalten, den es heute nicht mehr gibt, denn jetzt ist die Ebene von einem Stausee überflutet und die Kirgisen mussten sich wahrscheinlich eine neue Bleibe suchen. So ist dieser Moment zu einem Dokument geworden, wie eine Bilderbuchlandschaft, in der genügsame Hirten von dem kargen Boden leben mussten, das jetzt von dem unaufhaltsamen, rücksichtslosen Fortschritt brutal verschluckt und zerstört worden ist.
Der Ort heisst jetzt nicht mehr Chaqiragilkol (Kol heisst auf kirgisisch: See), den See gibt es jetzt nicht mehr, das heisst jetzt in der Sprache der Hanchinesen: QIONGKUAI LEBASHI.