Die lieben Nachbarn
Es ist nicht zu unterschätzen, wie wichtig das Verhältnis zu unseren Nachbarn sein kann. Darüber ist schon so viel geschrieben und gesagt worden.
Freunde können aber nicht selten weit weg sein, die räumliche Distanz ist oft das Resultat familiärer und beruflicher Entwicklungen. Jetzt habe ich aber das grosse Glück, Freunde zu haben, die ich sage & schreibe seit fünfzig, ja sogar noch mehr Jahren nicht nur kenne, sondern immer noch eine gute Beziehung habe. Vor fünfzig Jahren war nicht nur ich ein völlig anderer Mensch, beziehungsweise man hatte ganz andere Prioritäten, Vorlieben und Ziele. Was mir aber auffällt, ist, dass ich diese wenigen paar Freunde zwar nicht in meiner örtlichen Umgebung habe, aber, wichtiger, die freundschaftliche Nähe ist mit dem Alter mitgewachsen, wir haben uns nicht auseinandergelebt, wir alle haben uns entwickelt und das in eine Richtung, eine parallele Richtung. Und das ist gerade in diesen höchst unsicheren Zeiten heute von substanzieller Bedeutung.
Ein Thema, aber nicht nur im Alter, ist die Einsamkeit. In England soll es ein Ministerium für Einsamkeit geben. Darum haben viele einen tierischen Freund, man sagt, dein Hund ist dein bester und treuester Freund. Sagt Voltaire. Ich mag gewisse – ich sage ganz bewusst – gewisse Hunde sehr gern. Andern gehe ich besser aus dem Weg. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die Katzen bevorzugen. Ganz klar.
Heute ist einer der ersten angenehm warmen und trockenen Tage im März. Also nichts wie in den Garten. Auch mein Garten ist mir freund geworden, er wächst mit und beschert mir im Sommer eine Menge Freude. Gerade die Rosen mit den spitzen Dornen sind mir ans Herz gewachsen. In einem Garten gibt es immer was zu tun. Ich schneide bewusst vieles erst im Frühling, denn Vögel und anderes Getier nutzen im Winter Samen und vieles andere. Also nichts wie los mit Gartenschere und Handschaufel. Getrost kann ich jetzt die Hagebutten wegschnippeln, dass es eine Lust ist. Und: mir leistet jemand Gesellschaft. Es ist Fritzli, Nachbars Katze. Er ist ein Kater. Da kommt er ums Eck gebogen, er macht ein Geräusch, das ankündet – ich bin jetzt hier. Katzen sind da etwas eigen. Fritzli biedert sich nicht – er kündigt sich an. Das ist sein Charakter und das muss man respektieren, sonst hat man keine Chance.
Als Begrüssung kommt er gemessenen Schrittes auf mich zu, es ist immer sein Ritual, seine Sprache: ich bin da, ich stehe dir zur Verfügung und du weisst genau, was ich gernhabe. Das kann so gehen: er wirft sich auf den Rücken und das bedeutet, er möchte gekrault werden. Es ist ein Geben und Nehmen. Gegenseitiges Vertrauen. Mir wird gestattet, ihn auf meine Weise zu kraulen und das ausgiebig und auch nicht ungern sogar gegen den Strich. Normalerweise bei Katzen höchst unbeliebt, aber er weiss haargenau, was das heisst, er akzeptiert gern meine Art von Kraulen. Lässt mich spüren, dass er es gernhat, streckt seine Beine weit von sich, dreht sich wieder um, die Massage geht jetzt auf dem Rücken weiter und wenn er genug hat, trollt er sich einfach. Aber nein, jetzt bin ich noch nicht fertig. Da liegt ein trockenes Stöckchen und ich spiele Dompteur. Ich weiss, da macht er gerne mit. Greift danach, aber einmal bin ich der Schnellere, ich kann ihn stupsen, wo ich will, er kommt kaum nach. Einmal greift er nach dem Stöckchen, seine Pfote streift meine Finger und erstaunt bemerke ich, dass er seine Krallen gar nicht ausgefahren hat. Das ist seine Art, mir entgegenzukommen, es ist seine Art, mir zu vertrauen.
Irgendwann geht auch dieses Spiel zu Ende, ich wende mich wieder meinem Garten zu, Fritzli hat im Moment genug und er nimmt sich das auch das Recht, zu kommen und gehen, wie es ihm passt. Allerdings brauche ich jetzt meine Gartenschere. Ich suche den Garten ab. Ich weiss, das Alter geht nicht spurlos an mir vorüber, immer suche ich etwas, es ist manchmal zum Verzweifeln. Wie oft ich meine Gartenschere schon gesucht habe. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass sich Fritzli von seinem Platz erhebt und sich trollt. Da hätte ich noch lange suchen können. Im selben Moment sehe ich sie, genau auf dem Platz der Wiese, den er mit einer Selbstverständlichkeit in Beschlag genommen hatte, da liegt sie meine Gartenschere mit dem roten Griff.
NACHTRAG:
bei Katzen ist auch Wasser höchst unbeliebt, es sei denn, zum Trinken. Was aber sehr beliebt bei Nachbars Katzen, also Fritzli & Findus, ein Brüdergespann, ist, sind meine Baldrianpflanzen, verwildert wachsen sie zwischen schwarzen Johannisbeersträuchern und Pfingstrosen. Da liegen sie oft und nicht selten sehe ich sie an den Wurzeln lecken.
Heute aber muss ich der Trockenheit mit dem Wasserschlauch zu Leibe rücken. Das Wasser läuft bereits aus dem Schlauch und zu spät habe ich Fritzli bemerkt, wie er an der Baldrianzapfsäule liegt und sofort hinter das Gartenhäuschen verschwindet. Das wollte ich keineswegs und rufe sofort: Fritzli, du musst keine Angst haben! Erstaunlich, aber er reagiert sofort, guckt hinter dem Eck hervor, als wolle er signalisieren: ich renne schon nicht fort! Unverzüglich kehre ich zum Wasserhahn, einige Meter zurück und schliesse ihn. Am Schlauch selber habe ich längst keine Pistole mehr, ich habe sehr schlechte Erfahrungen mit diesen Gartenschlauchsystemen, wie oft habe ich mich schon darüber geärgert. Also, Wasser ist abgestellt, schnurstracks mache ich mich auf den Weg zu Fritzli. Da wartet er schon, es folgt das Begrüssungsritual und ich sehe ihm seine Frage schon an seiner Reaktion: du hast doch mit dem Schlauch nicht etwa mich gemeint? das war doch ein Versehen!? Nein natürlich nicht, die Konversation ist rein hypothetisch – wegen dem Faux pas renne ich doch nicht davon, wie alle andere Katzen das tun würden. Darauf folgt oben beschriebenes Katzekraulen, dann am Holzpfosten ausgiebig Klauen schärfen, unser Verhältnis ist wieder herstellt und wird es auch bleiben. Man respektiert sich.